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Turbulenzen am Kofferband

Fluchtkoffer

"Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän: vor uns liegt eine Schlechtwetterfront und wir erwarten einige Turbulenzen. Der Bordservice wurde eingestellt. Bitte begeben Sie sich auf Ihre Plätze und bleiben Sie angeschnallt – es wird etwas schütteln.“


Draußen ist es stockdunkel. Es wird still im Flieger. Die junge Frau neben mir hat sichtbar Flugangst, greift die Hand ihres Partners und schließt die Augen. Als die Maschine zu wackeln beginnt, atmet sie heftiger, dann weint sie still. Die Turbulenzen wollen auch nach über zwei Stunden kein Ende nehmen.
Der Kapitän meldet sich noch einmal aus dem Cockpit und bedauert, nicht höher steigen zu dürfen, da ihm wegen des anderen Flugverkehrs keine Erlaubnis hierfür erteilt wurde.

Ich bin auch kein Held, lenke mich aber mit Lesen ab. Das geht ganz gut, doch wenn die Maschine heftiger durchgeschüttelt wird, erfasst mein Verstand in diesen Momenten nicht den Sinn der Zeilen und ich gebe zu, mich machtlos und der Situation ausgeliefert zu fühlen, zu hoffen, dass es auch dieses Mal wieder gutgehen wird.

Es bleibt weiterhin still im Flieger. Kaum jemand spricht. Nur ein kleiner Säugling schreit sich sein Stimmchen ohne Pause heiser. Vermutlich der Druck auf seine kleinen Ohren.
Auf den Deckenmonitoren flimmert irgendein amerikanischer Kinofilm. Tonlos für die Passagiere ohne Ohrstöpsel, die aber trotzdem hinschauen, vermutlich, um sich von ihrer Angst abzulenken.

Endlich fliegt die Maschine wieder ruhiger. Der Landeanflug auf DUS wird angekündigt, der Sinkflug eingeleitet. Gespräche werden wieder aufgenommen. Die Erleichterung ist deutlich spürbar.
Landung. Sanft. Die Maschine bremst mit Schubumkehr ihr hohes Tempo rasch herunter.

Endlich wieder am Boden.
Durchatmen. Vereinzelt wird applaudiert und trotz der Durchsage, bis zum Stillstand der Maschine doch angeschnallt zu bleiben, ist ein Öffnungskonzert klickender Gurtverschlüsse zu vernehmen, obwohl wir noch rollen.
Raus aus dem Flieger, durch den Finger ins Flughafengebäude.
Der Run auf das Kofferband beginnt.
.

Während noch vor wenigen Minuten die meisten der Mitflieger kurz davor standen, sich vor lauter Angst um ihr Leben einen Klecks in die Buxe zu machen, kleinlaut und leise, vielleicht sogar demütig an ihren Gott gebetet haben, sind sie am Kofferband nicht mehr wiederzuerkennen, denn plötzlich übernimmt das Stammhirn das Kommando.

Jeder drängt und sucht sich eine günstig Stelle, von der er sofort sehen kann, ob sein Koffer ankommt, während das Smartphone wieder vom Flugmodus befreit wird: „Hömma, ich bin gelandet. Ja, aber dat Band läuft noch nich!“
Gedränge, Geschubse.
„Wieso läuft dat Band noch nich?“
Ich warte auf den einen Satz, der garantiert immer kommt:
„Hömma, wetten, dat mein Koffer wieder mal der Letzte is? Ich hab immer so´n Pech!“
„Mann, wat dauert dat wieder! Sind die am streiken?“
Nörgeln und meckern, bis das Band endlich anläuft.
„Darf ich mal durch? Da kommt meiner!“
Die Lücke schließt sich sofort hinter ihm.
Er wuchtet seinen Koffer vom Band und hat redlich Mühe, wieder durch die sofort nachgerückten Drängler zurückzukommen.
Gerade noch Schiss vor dem Absturz, jetzt wieder Ungeduld, Hauen und Stechen wegen der paar Minuten Lebenszeit, die es braucht, bis die Koffer aus dem Flieger aufs Band zu seinem Eigentümer kommen. Krank.

Das sind die wahren Turbulenzen!
pathologe - Fr, 9. Okt, 09:19

Kenne ich.

Erst können sie nicht schnell genug in den Flieger kommen ("Eltern mit Kinder bitte zuerst" und auf einmal stehen nur Businesskasper vor den Eltern, die noch Kinder, Taschen und Kinderwagen zusammensuchen), nach der Landung hört man schon beim starken Abbremsen die ersten Mobiltelefone ihre Aktivierungsmelodie spielen. Und am Kofferband stehen alle ganz vorne und schauen sich die durchlaufenden Koffer mehrfach an. Fehlt dann nur noch der Kommentar "der ist ja schon wieder hier vorbeigefahren, holt den denn keiner ab?", während der Besitzer sich nicht durch die Reihen kämpfen kann.

Lo - Fr, 9. Okt, 13:37

Jau.

Genau so isset!
Moonbrother - Sa, 10. Okt, 14:06

So oft fliege ich nicht, als dass ich das auch so einschätzen kann.

Lo - Fr, 16. Okt, 09:08

Ich bin auch noch nie selbst geflogen.
Ich lass´ mich fliegen.
;-))

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