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Wenn Zyklopen erwachen.



Neulich beim Augenarzt.
Das Wartezimmer ist proppevoll mit überwiegend älteren Menschen.
Wartezimmer, das hat immer etwas mit sinnlos dahintropfender Lebenszeit tun.
Die Garten- und Frauenzeitschriften auf dem kleinen, in der Mitte stehenden Tisch interessieren mich nicht. Auch nicht die Flyer, in denen angedroht wird, dass man erblinden könnte, wenn man nicht bereit ist, dem Arzt die € 19,50 für eine IGEL-Untersuchung auf den Grünen Star zu berappen.
Der aktuelle „Focus“ wird gerade von einem anderen Patienten gelesen.

Ich schaue mich um: es ist noch früh am Morgen, die zum Warten Verurteilten gucken müde oder grimmig drein. Einer stiert wie hypnotisiert auf sein Smartphone und tippt darauf herum.
Etwa mehr als die Hälfte meiner Mitwartenden trägt einen Mullverband auf einem Auge.
Das Wort „Zyklopentreffen!“ kommt mir in den Sinn, und ich muss innerlich schmunzeln.
“Er schielte, sie schielte – sie haben sich noch nie gesehen…“, ist das Nächste, was mir einfällt, und ich habe das Gefühl, wohl der Einzige in diesem bedrückenden Raum zu sein, der sich innerlich wenigsten ein bisschen amüsiert.

Vermutlich empfinden es die anderen ebenfalls als körperlich unangenehm, so dicht zwischen wildfremden Zyklopen Stuhl an Stuhl sitzen zu müssen. Niemand spricht.
Die Zeit zieht sich, die Luft wird stickig.

Als eine alte Dame mit ihrem Rollator den Raum betritt, bringt sie unfreiwillig eine Wespe mit, die wohl Spaß daran hat, ein wenig Leben in die Bude zu bringen und das dahindösende Zyklopenkabinett mit Anflug-Attacken mal etwas aufzumischen.

Plötzlich kommt Bewegung in den Laden: einige stehen auf, schlagen um sich, es werden Ratschläge erteilt: „Bloß nich danach schlagen, dat macht die nur agressiver!“. Eine Frau flüchtet aus dem Raum.
„Wie kommt dat denn? Wespen, gezz noch im Oktober?“, fragt einer.
„Ja sicher! Geh´n Se mal beim Bäcker: da sitzen die in Massen auffem Pflaumenkuchen!“
Plötzlich spricht man miteinander. Erlöst vom kollektiven Dahindösen und Schweigen.
Die Wespe findet durch das „auf Kipp“ stehende Fenster nach draußen.
Ein Mann mit Augenbinde springt auf und schließt es sofort: „Sonst isse gleich wieder drin!“
Alle scheinen damit einverstanden zu sein. Gemurmel untereinander.
Der "Focus" wird gerade frei. Als ich ihn mir greifen will, werde ich aufgerufen.
Schade, ist doch gerade so schön gesellig hier.



Übrigens: wussten Sie,
dass schon ein einziger Pferdebiss ausreicht, eine Wespe zu töten?


Bissi Tage!
pathologe - So, 1. Nov, 10:19

Man

sollte Pferde verbieten. Besonders die Einäugigen.

Shhhhh - Mo, 2. Nov, 21:48

Wenn mir so etwas im Wartezimmer eingefallen wäre, hätte ich raus gehen müssen.

diefrogg - Mo, 9. Nov, 18:17

Jaaa, man soll im Wartezimmer ...

keine Fremden ansprechen. Diese Regel gehört zu jenen ungeschriebenen Gesetzen unseres gesellschaftlichen Umgangs, die die englische Ethnologin Kate Fox als "privvacy rules" bezeichnet. In westeuropäischen Ländern gelten sehr strenge privacy rules - man will ja nicht jeden dahergelaufenen Fremden mit seinem Gelaber belästigen (oder - bewahre - von seinem Gelaber belästigt werden).

Die Regeln gelten in England insbesondere auch im öffentlichen Verkehr - Ausnahmen gibt es - zum Beispiel, wenn selbiger zusammenbricht. Dass eine Wespe die "privacy rules" ungültig machen kann - diese Erkenntnis ist Kate Fox allerdings entgangen. Vielleicht sollten Sie ihr schreiben ;-)

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